Der Vinschgau ist eine Region der Superlative, der Gegensätze und der Besonderheiten. Viele der höchsten Gipfel der Ostalpen liegen in seinem Einzugsgebiet, umgeben von mächtigen Eisströmen, die sämtliche sportlichen Spielarten des Bergsteigens eröffnen. Doch das ist beileibe nicht der einige Superlativ des Vinschgaus.
Er besitzt ferner den einzigen Nationalpark Südtirols: den Stilfser-Joch-Nationalpark. Und der Superlative nicht genug, ist er mit knapp 135.000 Hektar das größte historische Schutzgebiet Italiens und das breiteste im Alpenraum.
Der Vinschgau ist zudem das niederschlagsärmste Tal der gesamten Alpen. Im Norden vom Alpenhauptkamm geschützt, im Süden vom Ortlermassiv abgeschirmt, regnet es hier fast so wenig wie auf Sizilien. Und weil das so ist, mussten die Bauern seit jeher ihre Wiesen und Felder künstlich bewässern. Bis vor wenigen Jahrzehnten geschah dies über Waale, mühsam angelegte Rinnen aus Holz, Mauerwerk und Beton, die das Wasser von den Bergquellen und den Gletschern dahin brachten, wo keines war. Was einfach klingt, war in Wirklichkeit eine komplizierte und arbeitsintensive Angelegenheit, die sogar einen eigenen Beruf hervorbrachte: den der Waaler. Längst haben künstliche Beregnungsanlagen die Waale ersetzt. An den Waalen entlang verlaufen aber nach wie vor bezaubernde Wanderwege, die sogenannten Waalwege. Auch sie sind eine der Besonderheiten des Vinschgaus.
Der Vinschgau hat aber nicht nur viel Natur, er ist auch eine Genussregion.
Genuss hat viele Gesichter. Und jeder genießt auf seine Weise. Was dem einen die ruhe, ist dem anderen der Aktivurlaub. Wo der eine abschaltet, dreht der andere auf. Doch in einem sind sich wohl alle einig: Der schönste Genuss bietet sich beim Essen. Nirgendwo sonst kommt der Genießer so auf seine Rechnung wie bei einer gepflegten Mahlzeit.
Der Vinschgau ist daher eine ausgezeichnete Adresse für Genießer. Die Begegnung zweier Kulturen macht sich kaum irgendwo so angenehm und positiv bemerkbar wie beim Essen. Die alte Tiroler Küche geht hier eine wunderbare Verbindung mit italienischer Kochkunst ein. Die einfache, aber geschmackvolle Kost der Bauern auf der einen, die schier endlose Kreativität der „cucina italiana“ auf der anderen Seite. Man muss sie ausprobieren, um zu erfahren, dass hinter dieser Aussage weit mehr als nur eine Werbebotschaft steckt. Die beiden Küchen befruchten sich auf so glückliche Weise, dass es schwer vorstellbar wird, dass die eine auf die andere verzichtet. Und immer mehr Menschen machen ihre Reiseziel auch von der Qualität des Essens im Gastland abhängig. Der Vinschgau hat daher die besten Karten.
Doch die Vinschger sind ehrlich genug, die Kirche im Dorf zu belassen. Sie wissen, was die italienische Küche für die Esskultur des Landes bedeutet, schließlich ist es noch gar nicht so lange her, dass Genuss in anderen Bereichen größer geschrieben wurde als beim Essen. Doch in den letzten zwanzig Jahren hat sich ein geradezu radikaler Wandel vollzogen. Nicht von heute auf morgen, sondern in Etappen. Am Anfang stand die gute alte Hausmannskost. Einfach, mit anspruchslosen, aber gesunden Zutaten. Sobald sie den Weg von der Hausfrauenküche in die Speisekarten der Gasthäuser und Restaurants eingeschlagen hatte, begann die Verfeinerung. Immer bessere Zutaten, immer genauere Dosierung und natürlich eine ordentliche Prise Kreativität. Die Hausmannskost blieb trotzdem, was sie war. Nicht Etikettenschwindel war das Ziel, sondern Veredelung des Authentischen.
Vinschger Spezialitätenwochen lockten immer zahlreicheres Publikum an, ein friedlicher Wettkampf der Küchenmeister setzte ein. Nutznießer dieser Entwicklung war der Gast. Er kam voll auf seine Rechnung und lernte eine neue Dimension des Genusses kennen. Doch die Krönung kam mit der italienischen Küche, der vielleicht weltweit besten. Längst kennt jeder auch im entferntesten Winkel der Erde Spaghetti und Tagliatelle. Aber wer hat aus der Speisekarte schon „tortelli alla zucca“ oder „crespelle al salmone“ gewählt?
Die beiden Ströme – Tiroler und italienischer Küche – sind längst ineinander eingemündet. Aber ihren Charakter haben sie beibehalten. Es ist wie mit einem wirklichen Strom. Dort, wo er auf den anderen trifft, prallen zwei Welten friedlich aufeinander. Die Farben des Wassers liegen wie zwei unterschiedliche Flecken nebeneinander, fließen dann sehr lange Zeit nebeneinander her und zerfließen erst sehr viel später ineinander.
Wer im Vinschgau essen geht, wird dieses friedliche Nebeneinader, abgestuft bis hin zum kulinarischen Potpourri schon bald zu schätzen wissen. Knödel mit Graukäse stehen hier nicht im Kontrast zum „Risotto alla milanese“, und das „Vinschger Paarlbrot“ geht mit den „Grissini“ eine wunderbare Symbiose ein. Das eine versteht sich als Ergänzung und Bereicherung des anderen. Damit aus Freude Genuss und aus Essen echtes Genießen wird. (edka)