Im ehrwürdigen alten Ehrbarsaal ereignete sich am 14. November 2012 ein Höhepunkt des Wiener Konzertlebens. Viele Kenner, Musikliebhaber und Fachleute waren gekommen, um den Klavierabend des in Fachkreisen bereits bekannten und geschätzten jungen Meisterpianisten Dmitry Klimenko zu hören, der ein enorm umfangreiches und höchst anspruchsvolles Programm souverän absolvierte: drei Werke von Chopin im ersten und sechs Werke von Rachmaninov im zweiten Teil. Und alle, die gekommen waren, wurden nicht enttäuscht!
Vom ersten bis zum letzten gespielten Takt bewies der junge Künstler an diesem Abend ebenso seine ausgereifte technische Meisterschaft wie sein Gefühl für den tiefen Schmerz, der den Werken beider großer Meister, Chopins wie Rachmaninovs, innewohnt. Beider Leben war von persönlicher Tragik gezeichnet, ihr Werk vom hell sehenden Blick des Künstlers für das Große und Tragische, für die Mysterien der Liebe und des Todes.
Schon mit dem ersten gespielten Stück, der Ballade Nr. 3 in As-Dur von Chopin, schlug Klimenko das Publikum in seinen Bann. Die As-Dur-Ballade ist wegen ihrer besonderen technischen Schwierigkeiten eines jener Werke von Chopin, welche den Teilnehmern des in Warschau jedes fünfte Jahr stattfindenden Chopin-Wettbewerbes zur Wahl frei stehen. Klimenko eröffnete seinen Klavierabend bewusst mit einem höchste Virtuosität erfordernden Stück, wie er ihn dann auch mit einem solchen schließ – der Sonate Nr. 2 in b-moll von Rachmaninov.
Von der Beziehung Chopins zur Tonart des zweiten gewählten Stückes, Nocturne op. 15 Nr. 2 in Fis-Dur, soll Theodor Adorno gesagt haben: „Chopin braucht nur Fis-Dur zu nehmen, und schon klingt es schön.“ Klimenko spielte das Werk als einen „nächtlichen“ Traum von Liebe und Leidenschaft, molto espressivo bis zum schlichten, ergreifenden Schluss.
Den abschließenden Höhepunkt des ersten Teiles bildete die b-moll-Sonate Nr. 2 op. 35 des großen Polen, die als „Trauermarsch-Sonate“ weltberühmt ist und bei manchen Fachleuten als die „düsterste Klaviersonate der Romantik“ gilt. In allen vier Sätzen zeigte Klimenko sein Gefühl für Chopins Klavierstil mit dem vom polnischen Romantiker geprägten, unverwechselbaren „rubato“.
Gewaltig hub der zweite Teil an: mit den erschütternden Klängen von Rachmaninovs cis-moll-Prélude (op. 3 Nr. 2), in denen der tiefe Ernst der russischen Seele ergreifend zum Ausdruck kommt.
Dem cis-moll-Prélude folgten vier weitere ausgewählte: das erzählend-liebliche, träumende op. 23 Nr. 10; das an eine Naturidylle erinnernde, wie ein klares Waldbächlein fließende und perlende op. 32 Nr. 5; das geheimnisvoll anklingende, nachdenklich stimmende op. 32 Nr. 10, dessen punktiertes Hauptmotiv abgewandelt und gesteigert wird, den musikalischen Impressionismus vorausahnend und zuletzt melancholisch ausklingend; schließlich das op. 32 Nr. 13, feierlich beginnend, unruhig fortfahrend, sich dann mächtig steigernd – in einer „Apotheose“ und sehr „endgültig“ schließend...
Den letzten Teil des offiziellen Programms bildete – wohl in bewusster Gegenüberstellung zu Chopins b-moll-Sonate Nr. 2 am Schluss des ersten Teiles gewählt – Rachmaninovs b-moll-Sonate Nr. 2. Wieder brillierte Klimenko durch souveräne Phrasierung, Dynamik und Agogik. Das Werk gilt als eines der technisch schwierigsten in der Klavierliteratur; so war es auch in dieser Hinsicht ein würdiger Abschluss dieses denkwürdigen Klavierabends.
Das Publikum applaudierte nicht nur enthusiastisch, auch Getrampel und „Bravo!“-Rufe wurden laut, welche Huldigungen der liebenswürdige junge Meisterpianist bescheiden mit dankbarem Lächeln und fast schüchtern wirkenden Verneigungen entgegennahm. Schließlich bedankte sich Dmitry Klimenko bei seiner begeisterten Zuhörerschaft noch mit einer Zugabe, wofür er Chopins Etüde Nr. 1 op. 25 wählte.
Ein großer Abend der hohen „holden Kunst“ war zu Ende – ein großer Erfolg für den jungen Künstler, den aufstrebenden Stern am Konzerthimmel, ein großes Erlebnis für alle, die dabei waren. Die „Klaviergalerie“ hatte einen Würdigen eingeladen, in ihrer Konzertserie „Piano Highlights“ im Großen Ehrbarsaal sein Debut zu geben.
Der Name Dmitry Klimenko – schon jetzt kein unbekannter Name mehr in der Fachwelt – wird, wie viele meinen, in nicht ferner Zukunft in der Reihe der Namen der großen Pianisten der Welt stehen. Ich halte diese Prognose für begründet.
Steven Warren, Musikkritiker, Musikwissenschaftler